Das Durchgangslager für „ausländische Arbeitskräfte” in Bietigheim, 1942-45

Christine Axmann

Inhalt

 

Ein paar Worte voraus…

Die hier vorliegende Darstellung ist lediglich ein knapper Auszug eines Vortrages vor dem Bietigheimer Geschichtsverein. Fundierte Informationen werden in absehbarer Zeit als Magisterarbeit vorliegen. Bitte gedulden Sie sich noch eine Weile, wenn sich an mehr Details interessiert sind. Die Erkenntnisse über das Bietigheimer Durchgangslager beruhen zum einen auf den in den diversen Archiven überlieferten zeitgenössischen Schriftstücken, zum anderen auf den Aussagen von Zeitzeugen. Vier deutsche Zeitzeugen und rund 25 ehemalige Zwangsarbeiter konnten befragt werden. Die Erinnerungen der Zeitzeugen können sie in den Links nachlesen.

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Errichtung des Durchgangslagers

Eingang
Der Eingang zum Durchgangslager
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Als sich abzeichnete, dass die Blitzkriegstrategie im Osten nicht aufging und sich die Arbeitskräfteknappheit auf dem Reichsgebiet immer drastischer verschärfte, genehmigten Hitler und Göring am 31. Oktober 1941 den Einsatz von Arbeitern aus dem Gebiet der Sowjetunion. Mit diesem Entschluss begangen die Überlegungen, wie die zu erwartenden Massendeportationen abgewickelt werden sollten. Dabei wurde folgendes beschlossen: Zunächst sollten die Arbeitskräfte durch Anwerbekommissionen des Arbeitsministeriums erfasst werden, die dazu die Menschen in ein Auffanglager vor Ort brachten. Dort wurde eine erste Entlausung vorgenommen und die Transporte zusammengestellt. Diese Transporte sollten nun mit der Eisenbahn zu einem Übergangslager an der Grenze zum Reichsgebiet gebracht werden, wo eine weitere Entlausung stattfinden sollte. Anschließend sollten diese Transporte weitergehen in die diversen Landesarbeitsamtsbezirke, die jeweils ein Durchgangslager zu errichten hatten. Nach einer weiteren Entlausung, der ärztlichen Untersuchung und der Datenerfassung hatte von dort die Verteilung der Arbeitskräfte auf die diversen Arbeitsämter und Betriebe zu erfolgen.


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Personal

Personal
Die Männer: ganz hinten Herr Fellner, links zwei dt. Wachmänner.
Die Frauen: links von Fellner: Schura (Dolemetscherin), rechts von F.: Krankenschwester Anja, davor links: Anges P. von der DAF, rechts die Sekretärin von Herrn F., ganz vorne: Olga (Dolmetscherin)
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Die Verhandlungen und Vorbereitungen zur Errichtung des Bietigheimer Durchgangslagers begannen Ende 1941. Schnell fiel die Wahl des Standortes für ein solches Lager für Bietigheim. Dafür waren drei Faktoren ausschlaggebend: die verkehrstechnischen Vorteile Bietigheims als Eisenbahnknotenpunkt, ferner ein geeignetes, unbebautes Gelände in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofs, im so genannten Gewand „Laiern” und das entgegenkommende Verhalten des Bietigheimer Bürgermeisters Holzwarth. Sein Engagement lässt sich mit der Hoffnung erklären, bei der Zuteilung von Arbeitskräften besonders bevorzugt zu werden.

Die Bereitstellung des Geländes wurde nach Wunsch des Reiches in der Weise geregelt, dass die Stadt Bietigheim als Pächter auftrat und mit den Bauplatzbesitzern Unterpachtverträge abschloss. Zunächst wurde dem Reich ein Gelände von 3,6 Hektar verpachtet. Bis zum Kriegsende wuchs die Fläche auf 4,7 Hektar an. Die Vergrößerungen waren nötig geworden zur Errichtung weiterer Unterkunftsbaracken, einer Gepäckbaracke, Krankenbaracken etc. Die Erweiterungen stießen auf große Ablehnung bei den Anwohnern. Beschwerdebriefe an das Bürgermeisteramt dokumentieren die Missstände, die offensichtlich bei der Bewachung des Lagers bestanden.

Anfang Februar begannen die Bauarbeiten. Geplant war, das Durchgangslager zum 15. März 1942 in Betrieb zu nehmen. Die Konzeptionen sahen ein 32 Baracken umfassendes Lager mit Verwaltungsgebäuden, Entlausungsstation, Küchengebäuden usw. vor und sollte 1200 Personen aufnehmen können. Mehrfach wurde diese Belegstärke überschritten, bis zu 3700 Personen, die sich gleichzeitig im Lager aufhielten, sind belegt. Ungefähr 50 Baracken befanden sich schließlich insgesamt auf dem Lagergelände.

Die Führung und Verwaltung der Durchgangslager hatte der Reichsarbeitsminister der Deutsche Arbeitsfront übertragen. DAF-Verwaltungsleiter wurde Max Demmler; Seitens des Arbeitsamtes leitete Herr Wilhelm Fellner bis zum Einmarsch der Franzosen April 1945 das Durchgangslager, seine rechte Hand war Herr Eugen Schmidt. Als politische Aufsicht war ein SD-Mann namens Johann Sax im Lager. Wie es scheint, bestanden zwischen Herrn Demmler und Herrn Wilhelm Fellner mehrfach Spannungen um die Zuständigkeitsbereiche. Die DAF verließ das Lager Anfang 1943. Zwei Frauen übernahmen die Datenerfassung für die Polizei, zwei weitere fertigten Fotos an. Herr Fellner hatte eine Sekretärin an seiner Seite. Neben den deutschen Angestellten mussten zahlreiche Zwangsarbeiter dauerhaft im Durchgangslager arbeiten. Nicht nur Krankenschwestern oder Ärzte waren darunter, sondern auch ein Friseur, Schlosser, Schuhmacher, Elektriker, eine ganze Reihe Dolmetscher, Köche und jede Menge Putzfrauen. Ungefähr 70 ausländische Arbeitskräfte sind für das Durchgangslager nachgewiesen. Sie befanden sich aber nicht alle gleichzeitig im Lager, ihre Anwesenheit verteilt sich vielmehr auf die 3 Jahre, die das Durchgangslager bestand.

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Wege nach Bietigheim – die Deportationen aus dem Osten

Während das Durchgangslager noch ein Provisorium war, kamen Ostern 1942 die ersten Transporte an. Die Rekrutierung der Menschen vollzog sich vielerorts äußerst brutal, Razzien und Treibjagden sind bezeugt, teilweise wurden auch ganze Schulklassen aus der Schule weg in die Zwangsarbeit verschleppt. An eine besonders verzweifelte Frau erinnerten sich die deutschen Zeitzeuginnen: „Also mir denkt noch die polnische Frau, die sich die Haare ausgerissen hat. Die hat geschrieen! Die hat sich aufgeführt wie eine Wahnsinnige! Und da haben wir natürlich gefragt, was mir der los sei. Die haben sie dann hereingeholt und der Dolmetscher, der Vitali, der hat dann erzählt: Sie war morgens nach Warschau gefahren, um für ihre 3 Kinder nach Schuhen zu schauen. Und dann kam ein Lastwagen vorbei, auf dem noch ein paar Leute gefehlt haben. Und da haben sie die Frau, so wie sie war, einfach aufgeladen, in den Zug hinein und dann ist sie bei uns gewesen.” Eine Betroffene aus der Ukraine berichtet hier, wie sie ihre Deportation erlebt hat. Die damals 10-jährige Galina wurde gemeinsam mit ihrer Mutter, dem Bruder, der Schwester und einem Onkel nach Bietigheim deportiert. Im Kontrast dazu der Bericht eines Holländers, der zur Arbeit nach Deutschland beordert wurde.

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Physikalische Beschreibung des Lagers und seiner Funktionen

Das Lager lässt sich in zwei Bereiche – die sog. reine und die unreine Seite - unterteilen. Beide Seiten waren durch einen Zaun voneinander getrennt. Wenn ein neuer Transport mit „Ostarbeiter” ankam, so wurden die Menschen zunächst nicht über den Haupteingang ins Lager gebracht, sondern über einen zweiten Eingang direkt in die unreine Seite.

Auf der „unreinen” Seite: Entlausung

Auf dieser Seite musste sie zunächst die Entlausungsprozedur durchlaufen. „Westarbeiter” wurden nicht noch entlaust. Im Durchgangslager erfolgte eine Sach- und Personenentlausung. Zur Sachentlausung waren Heißluftkammern sowie sog. Blausäure-Kreislauf-Begasungskammern im Einsatz. Die Entlausungsanlage wurde ständig erweitert, im Januar 1945 waren 5 Heißluftkammern und 2 Gaskammern in Betrieb, die mit der Kleidung von je 25 Personen bestückt werden können. Die Leistung pro 12 Stunden belief sich auf rund 875 Personen. Während die Kleider in den Kammern entwest wurden, erfolgte die Personenentlausung in den Duschräumen. Wie die Menschen die ganze Entlausungsprozedur erlebt haben, lesen sie hier.

Im Durchgangslager sind auch jüdische KZ-Häftlinge, die vom KZ Auschwitz ins KZ Vaihingen transportiert wurden, entlaust worden. Sie erfuhren eine entsetzlich demütigende Behandlung.

Auf der „reinen” Seite: Untersuchung, Datenerfassung und Weiterverteilung

Weitertransport
Warten auf den Weitertransport (Vergrößerung)

War die unreine Seite passiert und die Entwesung vorgenommen, dann kamen die Arbeiter auf die sog. reine Seite. Für „West- und Ostarbeiter” gab es separate Baracken, die gemäß der rassenideologischen Vorstellungen durch einen Zaun abgetrennt waren, sodass keine Kontakte stattfinden konnten. War ein Zwangsarbeiter auf die reine Seite befördert worden, so stand die medizinische Untersuchung an. Ab August 1942 war dauerhaft ein russischer Arzt im Lager, zeitweise auch andere russische Ärzte. Nach der Untersuchung wurde die Daten erfasst, ein Foto gemacht, Fingerabdrücke genommen und eine Karteikarte für die zentrale Ausländerkartei angefertigt sowie Pässe ausgehändigt. Als letzte Station erfolgte die Verteilung auf die Arbeitsämter und Arbeitgeber. Dazu sollen wieder die Betroffenen zu Wort kommen.


Verpflegung und sanitäre Anlagen

Während des Aufenthalts im Durchgangslager wurden die Zwangsarbeiter äußerst notdürftig mit Essen versorgt. Ein polnischer Mann erzählte, dass man sich schon bei der Essensausgabe so aufstellte, dass der Geruch des schlechten Essens einem nicht schon beim Anstehen in die Nase zog. Oder eine Ukrainerin: „Zum Essen gab es zum Frühstück Tee mit einem winzigen Stückchen Brot und Margarine, mittags gab es Suppe, gekocht aus Zuckerrüben. In den Brotteig wurden Holzspäne beigemischt. Das Brot war nicht richtig hoch und sehr hart. … Als in die Kantine die Kohlrüben gebracht wurden, blieben immer ein paar auf der Straße liegen. Wir haben heimlich einige davon genommen und in den Regel roh gegessen.” ­– Ebenso schlecht war es um die sanitären Anlagen bestellt. Sie scheinen eine Katastrophe gewesen zu sein. Die Wasserversorgung des Durchgangslagers und die Abwasserbeseitigung blieben trotz baulicher Maßnahmen ein Dauerproblem. Oftmals fehlte der Treibstoff, um die Abortgruben zu leeren. Zeitzeugen aus Holland erzählten: „Toiletten gab es nicht. Man hatte mitten im Lager ein großes Loch gegraben von etwa 4 x 2 m und einer Tiefe von 1,5 m. Darum herum waren Holzpfähle in den Boden getrieben mit Querpfählen darüber. Darauf musste man sitzen, um seine Notdurft zu verrichten. Es barst von den Fliegen und es stank unvorstellbar.” … „Mitten auf dem Gelände stand die Latrine, aber als ich da reinkam, schreckte ich zurück von dem Gestank und der Schmutzigkeit. Überall Auswürfe (?), selbst an der Decke. Habe außerhalb des Stacheldrahtes nach einem Plätzchen gesucht.”

Krankenrevier

Wurde bei der Untersuchung im Durchgangslager eine ansteckende Krankheit festgestellt, zum Beispiel Tuberkulose, kamen die Erkrankten in ein abgegrenztes Krankenrevier. Unheilbare Fälle kamen ab Sommer 1942 nach Pleidelsheim, dann ab Frühjahr 1943 weiter ins sog. Krankensammellager nach Großsachsenheim. Lag ein Tuberkuloseverdachtsfall vor, so wurde im Bietigheimer Krankenhaus geröntgt. In diesem Krankenrevier wurden auch Zwangsabtreibungen vorgenommen; ebenso kamen Frauen ins Durchgangslager, um dort ihre Kinder auf die Welt zu bringen. – Im Krankenrevier kam es auch zu Todesfällen, sodass im Laiernwald ein Beerdigungsplatz angelegt werden musste. Bereits innerhalb des ersten Jahres wurden dort 50 Tote beerdigt.

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Zahlen

Lagerleiter Fellner schätze in einem Interview Anfang der 90er Jahre die Zahl der Personen, die das Lager passierten, auf 200 000. Bürgermeister Holzwarth schrieb im Juli 1943, also rund ein Jahr nach Eröffnung des Durchgangslagers in einem Brief, dass schon „120 000 Personen” durchgeschleust wurden, „vornehmlich Russen, aber auch Holländer, Belgier, Franzosen, Norweger, Griechen, Tschechen, Kroaten, Spanier”. Die Transportstärken werden von den Sekretärinnen auf bis zu 1000 Personen angegeben. In den Akten ist ein Transport von 1921 russischen Arbeitern nachweisbar. Je nach den Transportstärken hielten sich unterschiedlich viele Personen gleichzeitig im Durchgangslager auf. Als höchste Zahl sind 3700 polnische Deportierte im August 1944 dokumentiert.

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Zwangsabtreibungen und Geburten

Sowohl unter dem Gesichtspunkt der nationalsozialistischen Rassenideologie aus auch um ihre Arbeitskraft möglichst restlos ausbeuten zu können, waren Schwangerschaften bei den Arbeiterinnen unerwünscht. Dem „Problem” wurde zunächst dadurch begegnet, dass schwangere Frauen bis zum Dezember 1942 in ihre Heimat zurückbefördert wurden, schließlich wurde 1943 die Abtreibung erlaubt. Für den ganzen Landesarbeitsamtsbezirk Südwestdeutschland war Bietigheim der zentrale Ort für Abtreibungen. Eine der deutschen Sekretärinnen erzählte, dass sie die gemeldeten Frauen ins Lager bestellen und alle Abtreibungen in ein Buch eintragen musste. In den zwei Jahren, die sie dort war, sei sie gut auf tausend Abtreibungen gekommen. Aus der Erzählung einer Betroffen wird deutlich, dass Zwangsabtreibungen bis zum 8. Schwangerschaftsmonat von dem russischen Lagerarzt vorgenommen werden mussten. Gleiches ist auch für das Krankenlager Großsachenheim bezeugt.

Wurde die Schwangerschaft bis zum Ende ausgetragen, so war Bietigheim ebenfalls Anlaufstelle. Dass ausländische Frauen in städtischen Krankenhäusern zur Welt bringen, war aus rassenideologischen Gründen unerwünscht. Entbindungen sollten daher vielmehr in den Krankenbaracken der Betriebe und in denen der Durchgangslager stattfinden. Nur in Krankenhäusern mit Hebammenlehranstalten waren Ostarbeiterinnen sozusagen als „Anschauungsmaterial” erwünscht. Wie viele Kinder in Bietigheim geboren wurden, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Im Rahmen des Ausländersuchverfahrens musste die Stadt auch Geburten in Bietigheim nachweisen. Hierbei wurden für die Jahre 1942-45 262 Geburten beurkundet, davon 1 belgisches, 3 französische, 4 holländische, 2 italienische, 4 jugoslawische, 2 lettische, 29 polnische und 217 russische Kinder. Die Zahl war jedenfalls groß und konfrontierte das Durchgangslager mit einigen Problemen. So konnten die Neugeboren nicht mit Säuglingswäsche versorgt werden, da in Bietigheim keinerlei Babywäsche mehr aufzutreiben war. Vielen Geburtenlagern, wie es Bietigheim war, waren so genannte Ausländerkinderpflegestätten angeschlossen. Man zwang die Frauen, zurück an den Arbeitsplatz zu gehen und die Säuglinge in diesen primitiven Säuglingsheimen zurückzulassen. Pflege und eine ausreichende Versorgung mit Nahrung erhielten die Kinder in diesen Stätten so gut wie keine, vielmehr vegetierten die Säuglinge vor sich hin, bis sie starben. Für Bietigheim ist keine solche Pflegestätte bezeugt, nach der Erinnerung der Zeitzeugen nahmen die Mütter die Kinder mit an den Arbeitsplatz. Im Ausländerlager der DLW befand sich eine Kinderbaracke, im Oktober 1943 waren dort 12 Kinder untergebracht, 3 Schwangerschaften bestanden. Todesfälle von Kindern gab es leider auch in Bietigheim. Mehr als 50 Säuglinge starben nachweislich. Als Todesursachen tauchen Lungenentzündung, Unterernährung und Blutvergiftung auf. Eine ganze Reihe von Kindern kommt bereits tot zur Welt.

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Einige besondere Vorkommnisse…

…der tragischen als auch der heiteren Art, wie sie durch Akten belegt sind oder von Zeitzeugen berichtet wurden:

Die Hinrichtung von Wasilij Demenko

Am 19.6.1944 wurde im Durchgangslager der 20-jährige Wasilij Demenko, ein Arbeiter von Daimler-Benz in der Kammgarnspinnerei, erhängt. Er hatte im Frühjahr Schuhe aus dem Schaufenster der Firma Mannal-Müller gestohlen. Zunächst wurde er von einem Polizisten gefasst, auf dem Weg zum Rathaus jedoch konnte er den Polizisten überwältigen und Richtung Stuttgart fliehen. Die Flucht glückt jedoch nicht, er wurde gefasst und die Gestapo ordnete seine Hinrichtung an. Mit der Erhängung auf dem Gelände des Durchgangslagers sollte ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Unter den Worten „Nehmt euch in Acht, sonst wird auch dasselbe passieren” mussten die Lagerinsassen an der Hinrichtung teilnehmen. Die anwesenden Honoratioren, die Holzwarth zur Hinrichtung geladen hatte, gingen unfassbarer Weise anschließend ins Gasthaus „Zum Adler” zum „Leichenschmaus”.

Vorsichtiges Aufbegehren

Ein Holländer erinnert sich: „Am Abend des 2. Tage ist etwas vorgefallen, was ich nie vergessen werde. Es waren auch in Bietigheim französische Kriegsgefangene untergebracht. An jenem Abend, es war Sommer und herrliches Wetter und jeder war draußen im Freien. Da begannen die russischen Frauen Lieder zu singen, die von anderen Leuten abgewechselt wurden mit Liedern in anderen Sprachen. Das alles hatte etwas von Heimweh und Widerstand bis die Franzosen anfingen mit der Marseillaise, ihrer Nationalhymne. Da fing die Bewachung an zu schießen und es flüchtete ein jeder in seine Baracke. Der Schrecken war groß, aber so weit ich weiß, ist nichts geschehen.”

Kabarettabend

Ein Holländer erzählte: „Dann wurde von den Franzosen und Holländern verabredet, dass man am Samstagabend einen Kabarettabend veranstalten wollte in einer der Baracken. Nicht zuletzt die Franzosen beteiligten sich daran mit allen Kräften, wovon ich mich an rassige Französinnen erinnere, die ebenso rassig „Sur le pont d´Avignon” sangen und vortrugen. Sie müssen erfahren gewesen sein, vielleicht sogar berufshalber unterwegs, z.B. zur Unterhaltung von französischen Kriegsgefangenen. Dies ist aber vielleicht zu optimistisch gedacht! Einzelne Nummern begleiteten sie mit rhythmischen Händeklatschen. Ich war imponiert und begeistert. Ein holländischer Limburger mit einem sehr schönen Bariton, offenbar gut bekannt in seiner Gruppe und von dieser offenbar zum Auftreten ermutigt, brachte „Es steht ein Soldat am Wolgastrand” aus „Der Zarewitsch” dar.”

Holländisch-französisches Techtelmechtel...

„Eine besonders hübsche junge Französin, ein Mädchen eigentlich noch, das, so wurde erzählt, ihren Onkel auf dieser ungewöhnlichen „Reise” begleitete oder umgekehrt, und ein flotter, nichts weniger als schüchterner blonder Musterholländer fanden einander am ersten Abend schon - trotz des Onkels in einem Stockbett und dazu auch noch kritisiert von vielleicht nur eifersüchtigen Kameraden des Holländers in seiner nächsten Umgebung!”

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Eine besondere Gruppe Deportierter – Ordensleute im Durchgangslager

In einer Spruchkammerakte fand sich ein kleiner Zettel, auf dem sich polnische Ordensleute für eine gute Behandlung im Durchgangslager bedankten. Auf mehreren Umwegen war es möglich, mit den Ordensgemeinschaften in Kontakt zu treten. Es zeigte sich, dass auch katholische Schwester samt ihren Kinderheimkindern nach Bietigheim verschleppt worden. Die Deportation vollzog sich im Zuge des Warschauer Aufstandes. Die Bevölkerung Warschaus wurde damals zunächst in das nahe gelegene Pruskow gebracht und dann zur Zwangsarbeit verschleppt. Dank der Memoiren von Schwestern sind einige Details zur Verschleppung und zum Aufenthalt im Durchgangslager bekannt. Eine Schwester schreibt: ”Man hat uns und die anderen schnell durch die Felder und Gärten bis zum Westbahnhof in Warschau gejagt. (...) Mit der Eisenbahn wurden wir nach Pruszkow auf das Gelände der Bahnwerkstatt gefahren. Dort standen schon Massen von Menschen, die in Warschau in Razzien verhaftet wurden. Überall war es schmutzig. Es gab kein Wasser. (…) Am Montag, den 14.8.1944, weckte man uns vor 5 Uhr, damit wir so schnell wie es nur möglich war in den Zug einsteigen. Der Zug wartete bereits und sollte uns in die Ferne fahren. (...) In Bietigheim begrüßte uns das Lagerpersonal, das hauptsächlich aus Ukrainern [bestand], (…) mit Schreien: ”Schnell aussteigen!”. Ihre Stimmen haben uns Angst eingejagt. Wir wurden auf Baracken mit dreistöckigen Betten verteilt. (…) Nachdem wir uns mit dem Lagergelände bekannt gemacht hatten, besserten wir dem Lagerpersonal, in der Regel dem Küchenpersonal, Kleiderstücke aus. Ab und zu gaben sie uns eine Kanne armer Milch oder einen Topf gekochter gut gewürzter Kartoffeln. Dies geschah mit der Zustimmung der Küchenleiterin. Es wurde uns auch erlaubt, das Lagergeländer zu verlassen. Jedes Mal brachten wir zu dritt Obst (es gab davon sehr viel), Kartoffeln, Tomaten oder Gurken mit. Wir kamen im Lager am Donnerstagmorgen an und schon am Sonntag hatten wir eine Heilige Messe auf der Lagerwiese. Es wurde uns erlaubt, einen Altar zu errichten und eine Heilige Messe zu halten. Im Lager waren noch drei Schwestern der Ursulinen der römischen Union. Sie hatten ihren eigenen Kaplan und Messgewänder. Den nötigen Rest gab uns der Pfarrer aus Bietigheim - Kerzen, Leuchter, Kommunikanten, Hostien und Messwein.(…) Nach vier Wochen mussten wir das Lager verlassen und wurden zur Arbeit gezwungen. Die Ursulinen der römischen Union fuhren mit ihren Mädchen zu einer Fadenfabrik in die Kreisstadt Heilbronn. 17 Unbeschuhte Karmelitinnen aus Warschau, drei Barmherzige Schwestern und wir 11 plus noch zwei weitere Frauen wurden zu der Weberfabrik Bruder Spohn nach Neckarsulm am 12.9.1944 transportiert. Die Arbeit war schwer.”