Weltgericht und Kapitelle - Studienfahrt nach Burgund

Ein Bericht von Stefan Benning über die Burgundreise des Geschichtsvereins vom 26. - 29.4.2011

Seine zweite Auslandsreise führte den Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen kürzlich nach Burgund. Kultur und Architektur der hochmittelalterlichen Klöster in der Nachfolge von Cluny standen dabei im Blickpunkt des Interesses.

Burgundreise(Vergrößerung)

Unter der Leitung von Stadtarchivar Stefan Benning startete in der Nachosterwoche eine 30köpfige Gruppe des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen ins alte Herzogtum Burgund. Ausgehend vom Standquartier in Beaune folgte man vier Tage lang den noch sichtbaren Spuren der von Cluny beeinflussten Sakralarchitektur mit Besuchen in Autun, Vézelay und Fontenay. Die 1120 begonnene Kathedrale in Autun steht architektonisch ganz in der Nachfolge von Cluny III, dieser größten, allerdings nur noch rudimentär erhaltenen europäischen Kirche des Mittelalters. Die Bischofsirche in Autun wurde als Pilgerkirche für die Reliquien des heiligen Lazarus errichtet, im Spätmittelalter jedoch äußerlich stark überformt. Zunächst konnte W. Fahrbach zur allgemeinen Überraschung mit seinem stets paraten Kompass nachweisen, dass St. Lazare stark von der üblichen Ostung im Kirchenbau abweicht und SSW/NNO gedreht ist. Möglicherweise hat dies mit der beengten Lage auf dem Hochplateau zu tun. Bedeutend ist St. Lazare vor allem wegen seines vorzüglich erhaltenen Skulpturenschmucks. Der frisch restaurierte Tympanon am „West“portal zeigt ein sehr eindrückliches, im Relief gearbeitetes Weltgericht. Gemeinsam entschlüsselte man die einzelnen Bildsegmente dieser Mahnung an die Gläubigen. Das Werk ist sogar signiert: „Gislebertus hoc fecit“. Auch ein Großteil der Kapitelle der Pfeilerbasilika weist figürlichen Schmuck auf. Erzählt werden teils entlegenere Geschichten aus dem alten und neuen Testament, wie der „Traum der Könige“ oder der „Selbstmord des Judas“. Im Museum Rolin in unmittelbarer Nähe konnte anschließend noch die fein gearbeitete „Eva von Autun“ aus aller nächster Nähe bewundert werden. Sie stammt vom abgerissenen ehemaligen „Nord“portal.

Am nächsten Vormittag stand die „Kirche des Lichts“ in Vézelay auf dem Programm. Obwohl cluniazenisches Priorat setzt sich die zwischen 1120 und 1215 entstandene Klosterkirche in Vézelay architektonisch deutlich von ihrem Mutterkloster ab. Als Wallfahrtskirche für die Reliquien Maria Magdalenas wurde sie Ausgangspunkt einer der vier Hauptwege des Jakobswegs nach Santiago und hatte im 12. und 13. Jahrhundert eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Hier rief Bernhard von Clairveaux in Gegenwart des französischen Königspaares den zweiten Kreuzzug aus, hier trafen sich das englische und französische Heer für die Fahrt ins Heilige Land. Auch in Vézelay standen Tympanon und Figurenkapitelle im Fokus der Besichtigung. Das Pfingstereignis und die Aussendung der Apostel zu den damals bekannten Völkerschaften der Welt ist das Doppelthema der hier noch deutlicher aus dem Relief herausgearbeiteten kleinfigurigen Darstellung. Kapitell für Kapitell folgte anschließend die gemeinsame Erkundung der Kirche. Der die Besichtigung beendende Gottesdienst mit mehrstimmigen Choralgesängen der Nonnen vermittelte auch den Protestanten noch etwas von dem Zauber, der dieser Kirche bis heute innewohnt.

Gegen die liturgische und architektonische Pracht Clunys, gegen das ausufernde Pilgerwesen gründeten sich die Zisterzienser als neuer Orden im ebenfalls burgundischen Citeaux. Ihr wortgewaltiger und politisch überaus einflussreicher Hauptvertreter Bernhard von Clairveaux gründete u.a. das Kloster Fontenay, das am Nachmittag auf dem Besuchsprogramm stand. In abgeschiedener Waldeinsamkeit an einem kleinen Wasserlauf entstand ab 1118 dieses Kloster nach dem von Bernhard entworfenen Musterplan, ganz auf Weltabgeschiedenheit und auf mönchische Selbstversorgung setzend. Die Anlage befindet sich heute in Privatbesitz und zeigt mit wenigen Verlusten und Veränderungen noch den Originalzustand: in großer Schlichtheit die Kirche mit dem direkten Zugang zum Dormitorium, beeindruckend der biforiengesäumte Kreuzgang mit der Clunyschen Spitztonne, schließlich die Schmiede mit den für die Zisterzienser typischen technisch versierten Wasserbaueinrichtungen für Ver- und Entsorung und der große, mit Forellen besetzte Fischteich.

Am Rückreisetag stand zunächst noch das Hôtel Dieu in Beaune auf dem Programm. Es gehört einer anderen Zeit an, der Zeit der großen burgundischen Herzöge des 14. und 15. Jahrhunderts. Nicolas Rolin, Kanzler Philipp des Guten, hatte das Hospital gemeinsam mit seiner Frau 1443 gestiftet und es u.a. mit 800 ha Weinbergen ausgestattet, die dem Hospital bis heute gehören. (Bei einer Weinprobe hatten sich die Mitreisenden bereits von der hohen Qualität des burgundischen Weines überzeugen können, allerdings auch von den unverhältnismäßig hohen Preisen.) Highlight der gut erhaltenen Vierflügelanlage mit dem bunten Ziegeldach ist der Weltgerichtsaltar Roger van der Weydens (1451). Er wurde detailliert besprochen und u. a. mit dem 300 Jahre älteren Weltgericht in Autun verglichen.

Die Herzöge von Burgund verlagerten ihre Residenz im 15. Jahrhundert in das überaus wohlhabende Flandern, nach Brügge, Gent und Brüssel. Dorthin wird den Geschichtsverein die nächste Reise führen, dann mit dem Schwerpunktthema der Altniederländischen Malerei.