Die Metterzimmerer Michaelskirche
- Heinrich Dolmetschs heimliches Meisterwerk

Ein Bericht von  Stefan Benning über einen Vortrag von Dr. Ellen Pietrus am 6.12.2006

Anlässlich des 100jährigen Bestehens der Metterzimmerer Michaelskirche referierte am vergangenen Mittwoch die Stuttgarter Architektin Dr. Ellen Pietrus über "Heinrich Dolmetsch, den Architekten der Michaelskirche". Die gemeinsam vom Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen und der Kirchengemeinde Metterzimmern initiierte Veranstaltung füllte die Kirchenbänke des kleinen aber feinen Kirchleins wie sonst nur hohe kirchliche Feste.

Stolz und Neugier bestimmten das Grußwort von Pfarrer Rickelt - Stolz als Pfarrer Hausherr dieser kleinen architektonische Kostbarkeit zu sein und die Neugierde des erst seit einem guten Jahr im Amt befindlichen Seelsorgers auf die architektonische und kunsthistorische Einordnung "seiner" Kirche durch die "größte lebende Expertin zu Heinrich Dolmetsch", die Stuttgarter Architektin Dr. Ellen Pietrus. Der vom Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen gemeinsam mit der Kirchengemeinde Metterzimmern veranstaltete Vortrag fand bewusst in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Weihejubiläum der Kirche statt und schließt damit gleichsam das Jubiläumsjahr ab. Am 9. Dezember 1906 war die neu erbaute Kirche offiziell eingeweiht worden.

Nur kurz ging Frau Dr. Pietrus auf die Biographie des 1846 in Stuttgart geborenen Heinrich Dolmetsch ein, der als Schüler und Nachfolger von Christian Friedrich Leins zum wichtigsten Kirchenbauarchitekten Württembergs im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde. Er erbaute jedoch nur 17 Kirchen von Grund auf neu, darunter die Michaelskirche. Einen Namen machte sich Dolmetsch vor allem als Kirchenrenovierer. Bei über 100 Gotteshäusern in Württemberg hat er als verantwortlicher Architekt die Renovierung geleitet und sich im Sinne der Zeit dabei bemüht möglichst stilrein zu historisieren, d.h. "die gotischen Kirchen noch gotischer zu machen". Die Bietigheimer Stadtkirche konnte Frau Dr. Pietrus dabei als ein Musterbeispiel präsentieren. 1972/74 hat man hier allerdings alle Dolmetscheingriffe wieder zurückgebaut, weil die etwas verspielte holzdunkle Neogotik aus der Mode gekommen war. Kalter Beton und nahezu nackte Wände im Schiff sind nun Zeugnis des anderen Extrems.

Die Bau- und Planungsgeschichte der Michaelskirche durch Dolmetsch verzeichnet drei Anläufe: 1885, 1900 und 1905 entwarf er Pläne für eine Renovierung Metterzimmerer Ortskirche. Grundlage bildete immer eine Erweiterung des bestehenden "kleinen und unansehnlichen Kirchleins", wie die Oberamtsbeschreibung von 1853 sie bezeichnet. Die zu hohen Baukosten verhinderten jedoch jedes mal eine Realisierung. Mit einem Blitzeinschlag am 20. Mai 1905, in dessen Folge die Kirche bis auf die Grundmauern nieder brannte, griff der Himmel regulierend ein. Die wegen der hohen Kosten von 76.000 Reichsmark zurückgewiesene aktuelle Planung von 1905 wurde mit dem Segen des Kirchengemeinderates um weniges gekürzt nun doch umgesetzt. Dolmetschs Bautagebuch weist am Ende Kosten von 67.000 RM aus. Innerhalb weniger Monate entstand nach der Grundsteinlegung im Mai 1905 ein architektonisch reizvoller Bau, der sich vollkommen von den älteren Planungen unterschied, weil er nicht auf den Bestand Rücksicht nehmen musste und Dolmetsch sich inzwischen deutlich von der gotischen Formensprache entfernt und sich zeitgenössischen Strömungen des Jugendstils geöffnet hatte. Unter dem hohen schlanken Turm findet sich eine vielfältige Staffelung der Baukörper, bei denen die Asymmetrie geradezu zum Stilprinzip erhoben wurde. Es ist äußerlich an der Befensterung ablesbar, dass sich das "Emporenschiff" der Kirche im Süden befindet. Dolmetsch überließ kein Element der Architektur und der Ausstattung dem Zufall. Wie alle seine Kirchen ist auch die Michaelskirche komplett durchgestylt, von der Kirchenbank bis zur Predigtkanzel, von den Glasfenstern bis zu den Säulenkapitellen - nicht alles von ihm selbst entworfen, alles aber in seinem Sinne von Mitarbeitern gestaltet und von ihm selbst abgesegnet und von erprobten Handwerkern umgesetzt.

Anhand ausgewählte Beispiele ordnete Frau Dr. Pietrus im Folgenden die Michaelskirche in das hinterlassene Werk Heinrich Dolmetschs ein. Sie stellte dabei heraus, dass es sich bei der Michaelskirche um ein außergewöhnliches, aus den übrigen Kirchenbauten des Architekten herausragendes Bauwerk von besonderer stilistischer Homogenität handelt. Hoch erfreut zeigte sie sich auch über die gelungene Restaurierung des Kirchleins und über die Wertschätzung, die es damit erfahren habe. Die Michaelskirche war eine der letzten Kirchenbauten Heinrich Dolmetschs und so etwas wie ein heimliches Meisterwerk. Dolmetsch erlag 1908 einem Schlaganfall.