Ein Bericht von Klaus Atzler über die Jahreshauptversammlung am 25. Februar 2016 und den anschließenden öffentlichen Vortrag
Zur Hauptversammlung des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen konnte der 2. Vorsitzende Wolfram Wehnert, der die erkrankte Vorsitzende Ute Bartelmäs vertrat, viele Vereinsmitglieder und Gäste im Kronenzentrum begrüßen und über die vielfältigen Aktivitäten des Vereins im vergangenen Jahr berichten. Der Kassierer Reiner Theurer gab Auskunft über die solide Kassenlage des Vereins. Danach begeisterte der Leiter des Stuttgarter Hauses der Geschichte, Dr Thomas Schnabel, die Zuhörer mit einem sehr lebendigen Vortrag über „1816. Das Jahr ohne Sommer”.
Das Wetter im Jahre 1816 war trostlos: Es war im Frühling und im Sommer zu kalt und zu nass, trotz der niedrigen Temperaturen war der Himmel oft von dunklen Gewitterwolken überzogen, es gab nur wenige Sommertage. Die Ursache dieser Wetterlage war der Ausbruch des Vulkans Tambora im fernen Indonesien am 15. April 1815. Dabei handelte es sich um den wohl stärksten Vulkanausbruch seit mehr als zehntausend Jahren, der unvorstellbar große Mengen von Asche und Bimsstein in die Atmosphäre schleuderte. Die Aschepartikel wurden weltweit verteilt, aber über Westeuropa und dem Nordatlantik gab es ein Band mit besonders hohen Konzentrationen, das die Sonneneinstrahlung stark verminderte und gerade auch in Süddeutschland zu einer gravierenden Wetterverschlechterung führte. Der Zusammenhang mit dem Vulkanausbruch wurde damals freilich noch nicht erkannt.
Das schlechte Wetter führte zu schlechten Ernten: Die Getreide- und die Kartoffelernte brachten geringere Mengen und schlechtere Qualitäten, die Wein- und Obsternte fielen beinahe komplett aus; das Bietigheimer Weinregister verzeichnet für die Jahre 1816/17 keine Ernte. Infolge der schlechten Ernte stiegen die Getreidepreise in sehr kurzer Zeit um das Drei- bis Vierfache, wobei auch Wucher und Spekulanten eine Rolle spielten. Die Not traf natürlich besonders die ärmere Bevölkerung. Die Ernteerträge waren allerdings gegenüber dem auch schon schwachen Vorjahr nur um etwa ein Fünftel geringer; deshalb betonte der Referent, dass es sich weniger um eine Mangelkrise als um eine Teuerungskrise gehandelt hat. Die armen Leute versuchten alles Mögliche um nicht hungers zu sterben: Sie kochten Gras, Klee, Wurzeln und Heu und produzierten etwas Brotähnliches aus Kleie, Mehlstaub und Sägemehl.
Wie reagierten der König und die Regierung auf die Notlage? Trotz mancher Eingabe der Ständeversammlung lehnte König Friedrich staatliche Eingriffe in den Getreidemarkt ab; er war nur bereit, aus eigenen Vorräten in den Residenzstädten Brot zu mäßigen Preisen verkaufen zu lassen, um Unruhen zu vermeiden. Die Politik der Regierung änderte sich vollständig, als nach dem überraschenden Tod Friedrichs am 30.10.1816 König Wilhelm I. die Nachfolge antrat. Durch Festsetzen von Höchstpreisen, Erhöhung der Ausfuhrzölle auf Getreide und später ein Exportverbot, die Abgabe von vergünstigtem Getreide an besonders Bedürftige versuchte er die Not zu lindern. Um künftigen Notlagen besser begegnen zu können, wurde besonders auf Betreiben der Königin Katharina die Armenfürsorge neu geordnet und praktisch von jetzt an staatlich organisiert. Katharina stellte dafür nicht nur Mittel aus ihrer Privatschatulle zur Verfügung, sondern übernahm auch persönlich den Vorsitz in der zentralen Leitung der landesweit eingerichteten Wohltätigkeitsvereine. Zur Verbesserung der Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft gründete der König eine landwirtschaftliche Hauptschule in Hohenheim, aus der die heutige Universität hervorging, und er stiftete das Landwirtschaftliche Hauptfest in Cannstatt, das heute noch alle vier Jahre parallel zum Volksfest stattfindet.
Im Übrigen haben die gute Ernte des Jahres 1817 und die sehr gute des folgenden Jahres die Not rasch beseitigt. Die ersten reich geschmückten Erntewagen wurden 1817 an vielen Orten festlich begrüßt.