Bericht über die Exkursion des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen nach Lienzingen am 27. Oktober 2012
Zwei Kirchen, eine ehemalige Wallfahrtskirche und eine ehemalige Wehr- oder besser gesagt Schutzkirche, und die vielen Fachwerkhäuser aus dem 15. bis ins 18.Jahrhundert waren der Grund für den Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen, Lienzingen zu besuchen, heute ein Teilort von Mühlacker, im Mittelalter ein dem Kloster Maulbronn gehöriger Ort.
Lienzingen, der Name sagt es, ist eine alamannische Siedlung des 6. Jahrhunderts wie die anderen -ingen-Orte unserer Umgebung, wie auch unser Bietigheim, das ursprünglich bekanntlich Buotingen hieß. Wie Bietigheim im Jahr 789 ist auch Lienzingen urkundlich erstgenannt im Schenkungsbuch des karolingischen Klosters Lorsch an der Bergstraße, allerdings nicht nur einmal, sondern 24 mal zwischen 766 und 801.
Die erste Station der Exkursion war die Liebfrauenkirche. Sie steht etwas erhöht 500m südlich außerhalb des Ortes, umgeben von einem Friedhof. In den den Jahren 1476 bis 1491 wurde sie vom Kloster Maulbronn als Wallfahrtskirche errichtet mit allen Merkmalen der späten Gotik: Gleich die Strebepfeiler am hohen Chor weisen die charakteristisch konkav geschweiften Abdeckungen auf. Und keines der hochgezogenen Chorfenster gleicht in seinem reich mit Schneusen oder Fischblasen gezierten Maßwerk den anderen. Die Portalgewände sind reich gegliedert mit Kehlen zwischen Rund- und Birnstabsäulchen, deren Sockel spiralig umwunden sind. Im Inneren fallen weitere spätgotische Formen auf, an der Kanzel auch wieder Fischblasenmuster und sockelverzierte Säulchen; eine Sakramentsnische und die Pforte zur Sakristei sind beide von Kielbogen überfangen. Konsolenlos steigen im hohen Chor die doppelt gekehlten Rippen des Netzgewölbes aus den Wänden. Neun sorgfältig gehauene Gewölbeschlusssteine wollen entschlüsselt werden. Das weite, für die Aufnahme der vielen Trost suchenden Wallfahrer vorgesehene Langhaus wird von einer fünffach gesprengten Holztonne überdeckt, die mit figürlichen Flachschnitzereien und Schablonenmalereien reich geschmückt ist und die in ihrer Mitte den 1482 angeschriebenen Bittruf an Maria als einer Mutter der Barmherzigkeit lesen lässt. Dass die Liebfrauenkapelle nach Einführung der Reformation als eine Feldkirche nicht abgerissen wurde verdankt sie wie z.B. auch die Bietigheimer Peterskirche oder die Kilianskirche in Mundelsheim der Tatsache, dass sie als Friedhofskirche dient.
Zweite Exkursionsstation war ein Teilabschnitt des sogenannten Etterweges, der entlang eines Etterzaunes den ganzen mittelalterlichen Ort umgab, und der in Lienzingen noch deutlich zu erkennen ist. Das Mittagessen wurde im Gasthaus Zum Nachtwächter eingenommen, einem erst kürzlich sorgfältig restaurierten Fachwerkgebäude, dessen rückwärtige Giebelwand um 1441 in altertümlicher Firstständerbauweise errichtet wurde.
Am Nachmittag wurde zuerst die Ortskirche, die Peterskirche besichtigt. Die jetzige Kirche ist ebenfalls in spätgotischer Zeit errichtet worden mit all den Stileigenheiten, die schon an der Liebfrauenkapelle zu beachten waren. Eine Inschrift im Chor bezeichnet die Baufertigstellung fürs Jahr 1492. Eines der Steinmetzzeichen bezeugt übrigens die Mitarbeit des Baukünstlers und Maulbronner Laienbruders Konrad von Schmie, der im dortigen Kloster für den Bau des Parlatoriums verantwortlich war. Die Kirchenanlage ist als Wehr-oder besser Schutzkirche gestaltet. Der die ganze Kirche umlaufende gepflasterte Hof wird umfangen von einer teilweise bis zu neun Meter hohen Buckelquadermauer, an deren Innenseite sich ringsum ein durchlaufender Kranz von Fachwerkscheuerchen anschmiegt. Diese Schutzhäuschen sind zudem noch unterkellert. Darin konnte die Einwohnerschaft in Zeiten der Gefahr kostbares Gut bergen. Der Dachstuhl der Kirche ist zweistockiig mit Kammern versehen als Schutzort vor allem für die Frauen und Kinder. Nicht gegen einfallende Franzosen,wie man vermuten könnte, sind diese Gaden genannten Schutzhäuschen entstanden, sondern im 15. Jahrhundert, als Württemberg und die Pfalz in langwierigen Händeln um die Vorherrschaft in dieser Gegend kämpften.
Als nächstes standen die Fachwerkhäuser Lienzingens auf dem Programm. Neben Grundsätzlichem zum Fachwerkbau erläuterte Exkursionsleiter Manfred Kurz die verschiedenartigen zeittypischen Stockwerksgestaltungen z.B. mit den so bezeichneten fränkischen Männern oder mit einfachen und doppelten K-Streben. Noch genauere Zeitstellungen lassen sich an den im Laufe der Zeiten sich ändernden Schmuckformen, wie den Andreaskreuzen, den positiven und negativen Rauten, den stockwerkshohen Netzen, den V-Stützhölzern und anderem mehr ablesen. Für vieles gibt es auch in Bietigheim einzelne Beispiele, aber ein Vielfaches davon im besuchenswerten Fachwerkdorf Lienzingen.