Ein Bericht von Stefan Benning über die Flandernreise des Geschichtsvereins vom 10. - 14.4.2012
Nach Flandern an einen Geburtsort der naturalistischen Malerei führte in der Nachosterwoche eine Studienreise des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen.
In der 1420er Jahren fand zeitlich nahezu parallel in Oberitalien und in Flandern eine künstlerische Revolution statt: In Florenz wurde mit der Zentralperspektive die technische Möglichkeit entwickelt, eine Raumansicht auf eine Fläche zu projezieren. Mit dem geistigen Rückgriff auf die Antike wurden hier gleichzeitig Raum und menschliches Körperideal zum künstlerischen Thema. Die perfektionierte Technik der Ölmalerei machte währenddessen in Flandern die Darstellung von Stofflichkeit in all ihren optischen Facetten möglich und die eigene Lebenswelt zum Thema. Jan van Eyck, Robert Campin, Roger van der Weyden sind die Künstlernamen, die mit diesen Innovationen im Norden verbunden sind. Beide Regionen, Oberitalien und Flandern, waren zu Anfang des 15. Jahrhunderts nicht nur die wirtschaftlichen Kernregionen Europas, sondern auch die am dichtest besiedelten Gebiete mit der höchsten Städtedichte. Die neue Kunst war eine Kunst der Stadt. Die schon von den Zeitgenossen als eine „Ars nova” begriffene neue Sicht auf die Dinge war das Thema, unter dem eine 36köpfige Reisegruppe des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen unter Leitung von Stefan Benning und Reiner Theurer in der Nachosterwoche nach Brügge, der Hauptstadt Westflanderns und dem „Venedig des Nordens” aufbrach. In zwei Vorbereitungsabenden hatte Benning sowohl in die Geschichte wie die Kunstgeschichte Flanderns eingeführt.
Stilecht untergebracht mitten in der Brügger Altstadt in einem Haus aus dem 16. Jahrhunderts, stand am ersten Tag die mittelalterliche Stadt Brügge selbst auf dem Besichtigungsprogramm: Groete Markt, Markthalle, Belfried, Rathaus, Heilig-Blut-Kapelle, Haus zur Börse. Nach einer von einem Regenschauer etwas beeinträchtigen Grachtenrundfahrt folgte am Nachmittag ein Besuch im Groeninge-Museum mit zwei Hauptwerken Jan van Eycks, der Madonna des Kanonikus van der Paele (1436) und dem Porträt Margret van Eycks (1439). Thematisch außergewöhnlich und drastisch in der Darstellung war das Hans-Memling-Diptychon „Die Schändung des Sisamnes” (1498) Es hing ursprünglich im Brügger Rathaus und war eine drastische Mahnung an die Unbestechlichkeit der Brügger Richter.
Die belgische Hauptstadt Brüssel mit ihrem reizvollen historischen Zentrum, dem Mons des Arts und dem Europäischen Parlament war das Ziel des folgenden Tages. Am Freitag stand die Tuch-, Handels- und Universitätsstadt Gent auf dem Programm, gleich zu Beginn mit einem Besuch eines der Hauptwerke der europäischen Kunstgeschichte, dem Genter Altar von Jan van Eyck (1435). Die pulsierende Universitätsstadt am Zusammenfluss von Leie und Schelde zeigte am Nachmittag ihre zahlreichen Denkmäler im frühlingshaften Sonnenlicht: Sant Niklas, Korenmarkt, Graslei, Korenlei und den ehemaligen Prinsenhof, in dem Kaiser Karl V. geboren wurde. Der nahm als Kaiser wenig Rücksicht auf die rebellischen Einwohner seiner Geburtsstadt und strafte die Aufständischen drakonisch. Ein Denkmal erinnert daran, dass die Bürger in Büßerhemd und mit einem Strick um den Hals Abbitte vor dem Prinsenhof tun mussten.
Das geistliche Zentrum der Spanischen Niederlande und Ausgangspunkt der Gegenreformation hier, die Stadt Mecheln, war Station auf der Rückreise. Die kluge und tatkräftige habsburgische Statthalterin Margarete von Österreich hatte hier residiert und sich in Mecheln der Erziehung ihrer Nichten und des Neffen Karl (V.) angenommen. Im Zentrum um den Groeten Markt mit der zum Rathaus umfunktionierten Tuchhalle und dem zum Zwerchgiebel mutierten Sockelgeschoss des Belfried war gerade Markt und so bekam die Reisegruppe auch hier etwas vom geschäftigen Leben in der katholischsten Stadt Belgiens mit, ehe es am frühen Nachmittag wieder Richtung Heimat ging.