Ein Bericht von Stefan Benning über den Vortrag von Manfred Kurz in der GV-Runde am 11. Februar 2009
Bei der jüngsten Monatsrunde des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen am vergangenen Mittwoch im Bärensaal blätterte der langjährige Vorsitzende Manfred Kurz den zahlreichen Geschichtsinteressierten die Große Württembergische Kirchenordnung von 1559 auf, stellte deren wichtigste Regelungen vor und erläuterte ihre besondere Bedeutung für die Stadt Bietigheim.
Nach der mit militärischer Gewalt durchgesetzten Rückkehr Herzog Ulrichs aus dem Exil im Mai 1534 führte dieser sogleich die Reformation in Württemberg ein. Vermittelt durch den Landgrafen Philipp von Hessen war er zu einem glühenden Anhänger der lutherischen Glaubensreform geworden: Schon am 16. Mai 1534 hielt der hessische Hofprediger Oettinger in der Stuttgarter Stiftskirche den ersten Gottesdienst im lutherischen Sinne.
Auf den Tag genau zum 25jährigen Jubiläum der Einführung der Reformation in Württemberg verabschiedete Ulrichs Sohn Herzog Christoph (1550-1568) im Jahre 1559 die sogenannte Große Kirchenordnung, eine Zusammenfassung von 19 Einzelordnungen auf 490 Seiten, mit denen die Herzöge Ulrich und Christoph seit 1534 im landesväterlichen Sinne versucht hatten, die durch die Reformation radikal veränderten kirchlichen und sozialen Verhältnisse im Lande zu ordnen. Zur allgemeinen Verbreitung im Land ließ Christoph das „kirchliche Grundgesetz” für Württemberg in Tübingen drucken; es sollte bis 1806 in Württemberg Gültigkeit beanspruchen. Maßgeblichen Anteil an diesem Gesetzeswerk hatte neben dem Theologen Johannes Brenz ein Verwaltungsmann, der „Vogt von Bietigheim”, Sebastian Hornmold. Ihn machte Herzog Christoph auch zum ersten Direktor der neu eingerichteten kirchlichen Oberbehörde, dem Kirchenrat.
Erwartungsgemäß steht am Anfang der Kirchenordnung das neue evangelische Bekenntnis, die „Confession”. Sodann regelt das Gesetzbuch die neue Form des Gottesdienstes, sorgt sich um die Besetzung Pfarrstellen, ihre Beaufsichtigung und Kontrolle und weist an, wie mit nicht kirchenkonformen Sektierern wie Wiedertäufern, wie mit Zauberern, Teufelsbeschwörern und Wahrsagern umzugehen sei.
Breiten Raum nehmen die finanziellen Regelungen ein. Die handstreichartige „Verstaatlichung” aller Kirchengüter 1534 zwang den Staat in die Verantwortung, alle mit der Reformation von der Kirche übernommenen Aufgaben nicht nur neu zu organisieren, sondern auch zu finanzieren. Dazu gehörten u. a. auch eine ordentliche Besoldung des Kirchenpersonals und die Regelung der Armenfürsorge (Kastenordnung).
Die umfangreichsten Bestimmungen mit 144 Seiten widmen sich den Schulen. Schon Herzog Christoph erkannte, welch grundlegende Bedeutung eine ausreichende Bildung nicht nur für den Nachwuchs einer funktionierenden Kirche hat. Schließlich traf die Kirchenordnung auch umfangreiche Bestimmungen für das Medizinalwesen, die für die Stadt Bietigheim von erheblicher Bedeutung wurden. Um medizinischen Pfuschern und Quacksalbern vorzubeugen, wurden über das Land verteilt vier studierte Ärzte angestellt, denen jeweils eine eigene Apotheke zugeordnet war: in Stuttgart, in Göppingen, in Calw und für das Zabergäu in Bietigheim. Arzt und Apotheker wurden ebenfalls aus der Kirchenkasse besoldet. Die Stadt Bietigheim erhielt damit nicht nur einen Vorsorgevorteil für die eigenen Bürger, sondern einen enormen Bedeutungszuwachs auf Landesebene. Ganz ohne Zweifel hatte hier der „Vogt von Bietigheim” Sebastian Hornmold seine Finger im Spiel.