Ein Bericht von Stefan Benning über einen Vortrag von Christa Lieb bei der GV-Monatsrunde am 7.2.2008
Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Bärensaal, als Christa Lieb aus Ludwigsburg am vergangenen Mittwoch beim Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen über ihr Bietigheimer Feldpost-Projekt referierte.
Feldpostbriefe waren während des Krieges die schriftliche Verbindung zwischen den Familien in der Heimat und den Soldaten an der Front. In vielen Familien werden sie noch heute wie Ikonen verwahrt, sind es doch häufig die letzten Zeugnisse des gefallenen Großvaters, Vaters, Onkels oder Bruders. 40 Milliarden derartiger Briefe seien während des Zweiten Weltkriegs geschrieben worden, haben Historiker hochgerechnet, etwa 25% davon kamen von der Front.
Dass diese auf den ersten Blick so privaten Dokumente auch für geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse von Bedeutung sein können, erfuhr Christa Lieb erstmals, als sie die 1400 Briefe ihres Schwiegervaters aus dem Keller ans Licht holte, abschrieb und sich von der Authentizität des Inhalts überwältigen ließ. Eine Ausstellung über das Schicksalsjahr 1945 im Stadtmuseum Hornmoldhaus brachte die vor Arbeitseifer und Begeisterung sprühende Christa Lieb 2005 nach Bietigheim. Und wieder spielten von privaten Leihgebern für die Ausstellung bereitgestellte Feldpostbriefe eine bedeutende Rolle. Sie ließen die Idee entstehen, diesem Thema eine eigene Ausstellung zu widmen.
Wie im Schneeballsystem kam nach und nach immer mehr Feldpostkorrespondenz zusammen, viel mehr als man je erahnt hätte. Schließlich fand sich im Stadtarchiv die amtliche Korrespondenz des Bürgermeisters Holzwarth mit den Bietigheimer und Metterzimmerer Frontsoldaten. In zeitraubender Arbeit schrieb Christa Lieb alle Briefe ab, mehr als 1800 waren es inzwischen. Ihre chronologische Ordnung ließ nun eine eindrucksvolle, ja teilweise erschütternde Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht der beteiligten Soldaten entstehen, Bietigheimer Soldaten.
Im Zuge ihrer Forschungsarbeit nahm Christa Lieb Kontakt mit dem renommierten Historiker Jochen Böhler beim Deutschen Historischen Institut in Warschau auf, dessen Angaben über Wehrmachtsverbrechen in den ersten Kriegstagen in Polen sie durch das Kriegstagebuch eines Bietigheimer Soldaten im Detail bestätigen konnte. Böhler war begeistert über diesen bisher nicht annährend gehobenen Quellenfundus und wird bei der Finissage der Feldpost-Ausstellung am 24. Febr. um 11 Uhr im Hornmoldhaus sprechen. Zudem schrieb er ein Vorwort für das vom Stadtarchiv herausgegebene schwergewichtige Buch Christa Liebs zur Ausstellung. Der Geschichtsverein stellte es seinen Mitgliedern als Jahresgabe 2007 zur Verfügung. Und so kamen von der Lektüre beeindruckt zahlreiche gezielte Fragen aus der interessierten Zuhörerschaft: nach möglichem Inhalt und Zensur der Briefe, nach der Organisation der Verteilung, nach der Rolle der Mitbringsel aus Feindesland und der Liebesgaben aus der Heimat.
Tief berührte am Ende das Gedicht eines Soldaten von der Front, das von seiner Tochter vorgetragen wurde. Der Verfasser Karl Josef Geiger wurde seit Mai 1945 vermisst. Seine Frau und 5 unmündige Kindern warteten vergeblich auf seine Rückkehr.
Sollt' ich wiederkommen aus der letzten Schlacht
Wird's in meinem Leben
keinen Hass mehr geben
Und das Licht der Liebe schaue ich vertausendfacht.
Frau und Kinder lächeln Tag und Nacht um mich
In dem kleinsten Kreise
Schlicht und still und weise
Werde ich im Ganzen wirken froh und inniglich.
Was ich je versäumte, wird mir näher sein.
Trotz und Eitelkeiten
werden nicht mehr leiten
meine Schritte und Gedanken, besser will ich sein.
Denn nach diesem Kriege ruft uns höhere Pflicht
Wie du nie gewesen,
Edler, tief genesen,
Steigst empor aus Schutt und Qualen Seele, Du, zum Licht.
Ist es mir verwehret, viele werden's sein,
Die wie ich empfunden,
Schmerzen lindern, wunden
Herzen süßen Balsam geben, Liebe, Brot und Wein.