Ein Bericht von Stefan Benning über den Vortrag „ Gericht und Galgen - Strafrechtspflege im alten
Württemberg“ am 13.2.2003.
Referent Dr. Erich Viehöfer
Erich Viehöfer ist Leiter des weithin bekannten und in seiner Art einzigartigen Strafvollzugsmuseums in Ludwigsburg. Er nahm uns mit auf eine schauerliche Reise in die Bietigheimer Strafrechtsgeschichte und konnte mit allerlei bisher kaum bekannten historischen Verbrechen und ihrer Abstrafung aufwarten.
Zunächst führte er allgemein in die Strafrechtsgeschichte ein, um dann anhand konkreter Beispiele vor Ort deren reale Umsetzung aufzuzeigen. Um 1500 wurden die mittelalterlich-spirituellen Strafen für Vergehen oder Verbrechen durch eine körperliche, mit Schmerzen (Pein) verbundene Strafen abgelöst. Rahmengesetzeswerk war die „peinliche Halsgerichtsordnung“ Karl V. von 1532, die sogenannte Carolina, die in Württemberg bis 1824 gültig blieb. Weiteres regelte die Württembergische Landesordnung von 1555. „Blutgerichtliche“ Strafhoheit hatte dabei das Bietigheimer Stadtgericht. D.h. das 12köpfige städtische Gericht, vergleichbar mit dem heutigen Gemeinderat, konnte sogar Todesurteile aussprechen, wie es im 16. Jahrhundert noch vorgekommen ist. Jedoch holte man in aller Regel vor einem solchen Urteil ein Gutachten der Juristenfakultät der Universität Tübingen ein. Ab 1621 wurde dieses Verfahren dann gesetzlich vorgeschrieben.
Die ältesten Bietigheimer Strafrechtszeugnisse aus dem frühen 16. Jahrhundert sind eine ganze Anzahl sogenannter Urfehdebriefe, Urkunden, in denen die Delinquenten öffentlich bezeugen, sich der verhängten Strafe zu unterwerfen und auf jede Rache zu verzichten. Günther Bentele konnte den Begriff im Anschluss etymologisch auflösen: demnach ist die Urfehde, das „us“, das „Aus“ der Fehde, also deren Ende. Die Urfehden waren Endpunkt eines Prozesses, der noch keine Indizienbeweise kannte, sondern ganz auf das Geständnis des Täters angewiesen war. Um dieses zu erhalten, wurde auch die Folter in verschiedenen Stufen eingesetzt.
Doch trachtete man mit der Strafe den Übeltätern nicht gleich nach dem Leben. Haftstrafen in einem der Verließe der Stadttürme oder in eine der „Minizellen“ im Oberen Torturm dauerten selten länger als ein paar Tage. Äußerst unangenehm in einer Zeit, in der das „symbolische Kapital der Ehre“ einen unglaublich hohen Stellenwert hatte, waren Strafen, die die Ehre tangierten: das meist auf eine Viertelstunde beschränkte Stehen am Pranger oder der öffentliche Gang in der „Schandgeige“. Gravierendere Straftaten wurden häufig mit lebenslanger Landesverweisung geahndet, auch Todesstrafen bisweilen in eine Landesverweisung umgewandelt.
So bei dem „ruchlosen“ Metzger Simon Imlin, der als Brandstifter für den großen Stadtbrand von 1721 verantwortlich gemacht wurde, ohne allerdings geständig zu sein. Der Rhein, die Donau oder der Lech, die alte Stammesgrenze zwischen Alemannen und Bayern, waren dabei die Linien, die zur Heimat hin nicht mehr überschritten werden durften.
Im Gegensatz zu heute spielten Eigentumsdelikte in der Vormoderne kaum eine Rolle. Mord und Totschlag dagegen kamen wesentlich häufiger vor, die Gewaltbereitschaft war insgesamt höher, insbesondere nach dem 30jährigen Krieg, der eine Verrohung der Sitten bewirkt hatte.
Auch Blutschande und Homosexualität wurden drakonisch verfolgt. 1621 wurde Hans Itzlinger wegen Blutschande hingerichtet, Ende des 17. Jahrhunderts der Apothekergehilfe Hirsig wegen Sodomie, Masturbation und Blasphemie angeklagt. Derartige Prozesse geben einen kurzen Blick frei auf die Geschichte der Sexualität und sind deshalb von hohem Quellenwert.
Die Todesstrafe durch Feuer für Itzlinger wurde wegen seiner schwächlichen Gesundheit in eine sechsmonatige öffentliche Arbeitsstrafe auf dem Hohenasperg mit anschließender Landesverweisung umgewandelt.
Auch die verschiedenen Formen der Todesstrafe waren von unterschiedlicher Ehrqualität. Die Enthauptung durch den Scharfrichter war trotz des zugrundeliegenden Verbrechens ein ehrvoller Tod. Der Tod durch den Strang eine den Täter noch zusätzlich entehrende Form, blieb doch die Leiche wochenlang als Mahnung am Galgen hängen. Dies war auch der Grund, warum Galgen häufig an Landstraßen und weithin sichtbar aufgestellt waren. In Bietigheim erinnert noch heute die Flur Hochgericht oder der Galgenrain an den Standort des Galgens an der Landstraße nach Löchgau. Er soll einer der größten des Landes gewesen sein. Sein Ende kam, als König Friedrich von Württemberg auf seinem Weg nach Freudental Anstoß an seinem Anblick nahm und 1811 seinen Abriss befahl. Das war das Startsignal für die Beseitigung auch der anderen Galgen im Lande. Doch bedeutete dies nicht das Ende der Todesstrafe. Sie sollte noch mehr als ein Jahrhundert auf andere Art, nun durch die Guillotine vollzogen, zum Strafrepertoire des Staates gehören.