Am Vorabend der Katastrophe

Neue Erkenntnisse zu Entstehung und Urheberschaft der „Biblischen Summarien”

Ein Bericht über den Vortrag im Hornmoldhaus von Stefan Benning am 14. Dezember 2011

Stimmbildung für Stadtführer

Ausschnitt aus den Summarien mit der Signatur des Radierers Johann Custos (Vergrößerung)

Stimmbildung für Stadtführer

Johann Valentin Andreae (Vergrößerung)

Stadtarchivar Stefan Benning präsentierte am vergangenen Mittwoch im gut gefüllten Stadtmuseum Hornmoldhaus neue Erkenntnisse zu Entstehung und Urheberschaft der „Biblischen Summarien”. Den Maler Conrad Rotenburger und den Verleger Johann Huttenloch ordnete er in die städtische Gesellschaft Bietigheims um 1630 ein.

Als Begleitveranstaltung zur derzeit im Stadtmuseum Hornmoldhaus laufenden Ausstellung „Biblische Summarien” stellte Stadtarchivar Stefan Benning in einem Vortrag unter dem Titel „Am Vorabend der Katastrophe” die Stadt Bietigheim zur Zeit der beiden Urheber der Summarien vor, des Malers Conrad Rotenburgers (1579-1633) und des Verlegers Johann Huttenloch (1582-1635). Anschaulich mit Bildmaterial versehen ging Benning dabei zunächst den wenigen noch sichtbaren Spuren in der Stadt aus der Zeit um 1600 nach: einigen Bürgerhäusern, die kurz vor 1600 erbaut wurden, der modischen Anpassung des Rathauses (1602-1608) sowie dem beim Stadtbrand von 1721 bis auf die Grundmauern abgebrannten Hof des Vogtes Balthas Renner aus der Mitte 1620er Jahre, dem heutigen Pfarrhaus. Zahlreicher und repräsentativer sind die erhaltenen Bauzeugen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts: Schloss, Hornmoldhaus, Kachelsches Haus, die Renaissancebrunnen. Damals (1545) gehörte die Stadt Bietigheim zu den drei Städten in Württemberg mit dem höchsten Pro-Kopf-Vermögen. Der Vergleich auf Basis einer landesweiten Steuer 1629 macht deutlich, dass Bietigheim inzwischen diese Spitzenposition verloren hatte und ins Mittelfeld abgerutscht war, fast ans Ende der wohlhabenden Weinbauregion. Gleichwohl war die rund 1800 Personen umfassende Bürgerschaft in großen Teilen noch immer von gediegenem Wohlstand geprägt, die Handwerkerstruktur differenziert. Neben dem Maler fanden u. a. auch zwei Bildhauer, zwei Goldschmiede und ein Uhrmacher in der Stadt Lohn und Brot. Ab 1634 machte der 30jährige Krieg auch dem Bietigheimer Wohlstand ein jähes Ende.

Zu den Wohlhabenden der Zeit vor der Katastrophe gehörten auch Conrad Rotenburger und Johann Huttenloch, die Benning mit Hilfe der im Stadtarchiv überlieferten Steuerliste von 1629 in die gesellschaftliche Spitzengruppe der Stadt einordnen konnte. Beide waren nicht nur vermögend, sondern hatten auch politischem Einfluss, waren Gerichts- bzw. Ratsmitglieder, Huttenloch sogar Bürgermeister und Rotenburger Feldmesser.

Geradezu sensationell waren die noch ganz frischen Forschungsergebnisse, die Benning zum Höhepunkt seines Vortrags präsentieren konnte. Die vom Konzept wie von ihrer Ausführung her immer etwas rätselhaften Summarien hatte man, der Titelei folgend, bisher ausschließlich Conrad Rotenburger zugeschrieben. Doch war Rotenburger weder Theologe noch Radierer, sondern ausschließlich als Maler bekannt. Aufklärung dazu fand sich in der Herzog-August-Bibliothek im niedersächsischen Wolfenbüttel, wo eines der nur fünf weltweit überlieferten Exemplare der Summarien verwahrt wird. Bereits der in Osnabrück lehrende gebürtige Bietigheimer Prof. Martin Jung hatte in einem Vortrag am 9. November wahrscheinlich gemacht, dass es der württembergische Theologe Johann Valentin Andreae (1586-1654) war, dem Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel das Summarien-Exemplar zu verdanken hatte. Mehr noch: Jung vermutete bereits, dass Andreae als theologischer Kopf hinter den Summarien steckte. Benning nun konnte in der vergangenen Woche in Wolfenbüttel den erhaltenen Schriftwechsel Andreaes mit dem niedersächsischen Herzog von 1642 einsehen und nicht nur Jungs These bestätigen, sondern die Entstehung der Summarien nahezu komplett aufklären: Andreae und Rotenburger kannten sich aus der Zeit, als Andreae als Diakon in Vaihingen tätig war. Andreae hatte das theologische Programm für die 1614 in Auftrag gegebene Ausmalung der Vaihinger Stadtkirche entworfen, das Rotenburger ausführte. Andreae, der 1620 als Superintendent nach Calw versetzt worden war, entwickelte dort die Idee der Biblischen Summarien, d. h. die inhaltliche Komprimierung der biblischen Bücher auf einprägsame Merkverse zur besseren pädagogischen Vermittlung der Bibel. Er ließ Rotenburger in sein Haus kommen und die Bildentwürfe dazu anfertigen. Geplant hatte Andreae Rotenburgers Bildvorlagen und seine Texte von Matthäus Merian in Kupfer stechen und von dem Verleger Bockhöfer drucken zu lassen. Inzwischen hatte jedoch Conrad Rotenburger ohne Wissen Andreaes seinerseits einen Radierer gefunden und mit dem Bietigheimer Amtsbürgermeister Johann Huttenloch auch einen Verleger, der das Projekt finanzieren wollte. Hinter dem Rücken Andreaes setzten die drei das Projekt in die Tat um und gaben die Summarien 1630 in Bietigheim heraus. Andreae war (natürlich) wenig erbaut vom Ergebnis, Rotenburger habe es „versudelt”, schrieb er dem Herzog. Das Ergebnis sei ganz unwert und es verkaufe sich deshalb offenbar auch nicht gut. Inzwischen seien die beiden Urheber Rotenburger und Huttenloch verstorben und die meisten Exemplare seien verbrannt. Auch dem Exemplar, das Andreae dem Herzog übersandte, fehlte ein Blatt. Trotz einiger Mühe konnte Andreae kein Exemplar der fehlenden Seite beschaffen und ließ eine lavierte Federzeichnung anfertigen, die er dem Herzog wenige Wochen später nachreichte.

Nicht nur Andreae als theologischen Spiritus rector, auch den Radierer, den Rotenburger seine Vorlagen stechen ließ, konnte Benning namhaft machen: Johann Custos, Kupferstecher aus Augsburg. Custos war Spross einer ursprünglich aus Antwerpen stammenden Kupferstecherfamilie und hat sich an zwei versteckten Stellen in den Summarien verewigt. Außerdem blieb er Rotenburger eine beträchtliche Summe an Kostgeld schuldig, wie aus dessen Nachlassinventar im Stadtarchiv hervorgeht.