Geschichte bechern. Einem Bietigheimer Goldschmied auf der Spur

Ein Bericht von Stefan Benning über den Vortrag von Prof. Dr. Ernst-Ludwig Richter in der GV-Runde am 13. Januar 2010

Auf die Spuren des Bietigheimer Goldschmieds Josef Ade 1564-1634 führte Prof. Dr. Ernst-Ludwig Richter aus Freudental zahlreiche Zuhörer anlässlich der Monatsrunde des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen am vergangenen Mittwoch im Bären. Es wurde eine packende detektivische Reise und die Geschichte eines unglaublichen Zufalls.

Silberbecher
 
Silberbecher Boden

Richter, von Hause aus Physiker, hatte bis zu seiner Emeritierung an der Stuttgarter Kunstakademie Restaurierung unterrichtet. Häufig hatte er dabei auch mit historischen Goldschmiedearbeiten zu tun, für die ein nachhaltiges Interesse blieb. Bei Besuchen in der Bietigheimer Altstadt war er immer mal wieder in der Schieringerstraße am Haus des Goldschmieds Josef Ade vorbeigekommen. Aus Ades Werkstatt, der zwischen 1601 und 1634 in Bietigheim gelebt und gearbeitet hatte, waren während dieser Zeit sicher über 100 Goldschmiedearbeiten hervorgegangen. Da Silber jedoch bis ins 20. Jh. zugleich Münzmetall war, hat man die meisten Silberarbeiten irgendwann wieder eingeschmolzen, Recycling würde man das heute nennen. 99,9% aller Goldschmiedearbeiten sind auf diese Weise verloren gegangen. Die Chance, dass etwas von der Hand Ades überlebt hat, ist also denkbar gering. Die Qualität, sprich die Reinheit des Silbers war und ist für Laien schwer zu beurteilen. Deshalb wurden Silberarbeiten schon im Mittelalter von städtischen Sachverständigen kontrolliert und die Kontrolle durch einen Stempel, das sogenannte „Beschauzeichen” dokumentiert - „Verbraucherschutz” schon damals. Zusammen mit der Meistermarke, in der Regel das Monogramm des Goldschmieds, stellen die beiden Stempelungen wichtige Quellen für die Ein- und Zuordnung einer überlieferten Goldschmiedearbeit dar, wie Richter nun an einem konkreten Beispiel in fesselnder Weise darlegen konnte. Dies entpuppte sich zudem als ein unglaublicher Zufall.

Am 21. April 2009 erhielt er Kenntnis von der Versteigerung eines schlichten silbernen Schlangenhautbechers mit Vergoldungsresten und einer diffusen regionalen Zuordnung, aber mit der Meistermarke „IA” und dem Beschauzeichen „B” sowie einem nicht näher bestimmten bürgerlichen Wappen, den Besitzerinitialen „I. E.” und einer Datierung „1604”. Die Versteigerung des Bechers sollte am 11. Mai 2009 in Wien stattfinden. Es blieben also 21 Tage für eine Identifikation. Da sowohl Meistermarke als auch Beschauzeichen in dieser Kombination bisher in der Literatur nicht zu finden waren, blieb zunächst nur der Weg über das Wappen, d.h. über den Besitzer/Auftraggeber. Rascher als erwartet stellte sich heraus, dass das Bärenwappen der noch heute vornehmlich im Württembergischen verbreiteten Familie Essich zuzuordnen war. Ein bis ins 16. Jahrhundert zurückreichender publizierter Stammbaum ließ für die fragliche Zeit zwei Jacob Essichs in Frage kommen, der eine Amtmann in Merklingen (1560-1613), der andere Gastwirt und Bürgermeister in Neubulach (1583-1630). Letzterer heiratete im Jahre 1604 eine Anna Maria Korn. Mit der Hochzeit im gesuchten Jahr wäre ein klassischer Anlass für ein solches Geschenk gegeben. Der Becher könnte also ein Hochzeitsgeschenk gewesen sein.

Zudem ließ die Einschränkung der Auftraggeber/Besitzer des Bechers eine Suche des Goldschmieds im Herzogtum Württemberg erfolgversprechend erscheinen. Der Zufall kam insofern zur Hilfe, als Herzog Johann Friedrich 1618 die Kontrolle aller Landgoldschmiede in Württemberg auf Verarbeitung von probgerechtem Silber durchführen ließ. Die Akten dazu sind im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart überliefert. Damit lag eine Liste aller Goldschmiede in Württemberg vor. Nur ein einziger führte die Initialen „IA”: Joseph Ade aus Bietigheim. Zwanglos ließen sich nun Meister- und Beschaumarke in Kombination gleichzeitig identifizieren. Der in Wien angebotene Becher stellt also mit hoher Wahrscheinlichkeit das bisher einzig bekannte Werkstück des Bietigheimer Goldschmieds Joseph Ade dar.

Nebenbei löst sich so auch ein anderes Rätsel: nämlich Hintergrund und Bedeutung des geschnitzten Eselchens an der Erdgeschossstrebe des Ade-Hauses Schieringerstraße 11: Esel = IA = Joseph Ade!