Martin Luther - „Von weltlicher Obrigkeit ...” - zum Verhältnis von Kirche und Staat

Ein Bericht über einen Vortrag von Dieter Petri in der GV-Runde am 9. Juli 2015

Unter welchen Bedingungen kann ein Christ für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr stimmen? Auch für solche Fragen kann Martin Luthers Lehre „Von weltlicher Obrigkeit” Orientierung bieten. Dies zeigte in einem umfassenden, gedankenreichen Vortrag über Luthers Staatsverständnis der Schuldekan i. R. Dieter Petri in der monatlichen Runde des Geschichtsvereins Bietigheim-Bissingen.

Luthers Kritik am Ablasshandel, die er in den 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 äußerte, löste bekanntlich die reformatorische Bewegung aus. Nur durch wahrhafte Reue, nicht durch den Kauf eines Ablassbriefes erlangt der Christ Befreiung von Strafe und Vergebung von Schuld. Luthers Grunderfahrung war es, dass Gott den Menschen nicht als strafender Richter begegnet, sondern als liebender Vater, der ihm im Glauben seine Gerechtigkeit schenkt. Für eine besondere Rolle des Priesters ist im unmittelbaren Verhältnis des Menschen zu Gott kein Platz; Luther vertritt das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Die Christen sollen, so Luthers Meinung, wissen, was sie glauben, und die Bibel lesen können; deshalb fordert er die Fürsten und Städte auf, Schulen einzurichten.

Die Ausbreitung der Reformation in Deutschland war abhängig von der historischen Situation: Kaiser Karl V. als Verteidiger des katholischen Glaubens war in Kriege mit dem französischen König verstrickt und musste die Bedrohung durch die Türken abwehren; er konnte seine Kräfte also nicht auf die Niederwerfung der deutschen Reformation konzen-trieren. Andererseits gewann deshalb Luthers Beschützer, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, eine größere Handlungsfreiheit.

Als sich im Bauernkrieg die aufständischen Bauern in einzelnen Forderungen auf den Reformator berufen, tritt Luther zwar für bestimmte Rechte der Bauern ein, er lehnt aber jede Anwendung von Gewalt ab und verurteilt sie in der Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern.” Den Hintergrund für diese Haltung bildet Luthers Unterscheidung vom weltlichen und geistlichen Regiment, mit dem Gott die Welt regiert, die so genannte Zwei-Reiche-Lehre: Um Frieden und weltliche Gerechtigkeit zu erhalten, ist der weltlichen Obrigkeit der Einsatz von Gewalt erlaubt und manchmal notwendig - aber nur, soweit er verhältnismäßig ist und dem Ziel dient, Frieden zu schaffen. Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr ist also generell erlaubt; ob er den Vorgaben entspricht, muss in der konkreten Situation entschieden werden. Im geistlichen Reich gelten die Bergpredigt, das Liebesgebot und wechselseitige Vergebung. Wenn in einer Gemeinschaft alle in Luthers Sinn wahre Christen sind, ist die Anwendung von Gewalt unnötig.

Luthers Anerkennung der weltlichen Obrigkeit und seine Forderung, sich ihr in politischen Fragen unterzuordnen, bereitete den Boden für das enge Bündnis von Thron und Altar im deutschen Protestantismus und für eine große Obrigkeitshörigkeit der Protestanten. Erst die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führten bei Theologen wie Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Luthers Lehre. Bonhoeffer postuliert, wenn der Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagt, ein Recht auf Widerstand.